Boarisch - Boirisch - Bairisch - Eine Sprachgeschichte von Anthony Rowley

von Heike Arnold (Kommentare: 0)

Boarisch. Boirisch. Bairisch.
Eine Sprachgeschichte von Anthony R. Rowley

Eine nicht wissenschaftliche Nachlese von Heike Arnold


Was es bedeutet, eine Sprache oder einen Dialekt nicht verstehen zu können, habe ich Anfang der 2010er Jahre erlebt. Ich hatte meine alleinlebende und an Demenz erkrankte Mutter aus meiner pfälzischen Heimatstadt Rockenhausen in meine neue bayerische Heimatgemeinde Velden übersiedelt – ins örtliche Alten- und Pflegeheim. Schon am ersten Tag fiel mir auf, dass meine Mutter sehr still war, doch führte ich dies auf das anfängliche Fremdsein zurück. Nach einigen Tagen gestand sie, dass sie das überwiegend bairisch sprechende Pflegepersonal nicht verstehen könne, und auch mit ihrer Mitbewohnerin, einer hochbetagten Landfrau, konnte sie keine Gespräche führen. Die Sprachbarriere ging jedoch erstaunlicherweise in beide Richtungen, denn eine sehr junge Pflegerin verstand weder Pfälzisch noch Schriftdeutsch und sprach nur breitestes Bairisch, das auch ich nur mit Mühe verstand! Bis heute stimmt mich es mich traurig, dass meine Mutter die sprachliche Hürde über Jahre hinweg nicht überwinden konnte. Damals reifte in mir der Entschluss, mich intensiver mit der bairischen Mundart zu beschäftigen, um die Menschen in meiner neuen Heimat besser verstehen zu können, wenn es schon mit dem Sprechen können niemals klappen wird.

Beim Bairisch lernen hilfreich ist nicht nur das geduldige Zuhören, auch das Lesen verschiedenartiger Lektüre, die sich mit der Mundart beschäftigt, ist Nicht-Bayern zu empfehlen. Das neue Buch

Boarisch – Boirisch – Bairisch von Anthony Rowley stellt allerdings für interessierte Laien eine nicht gerade leichte Kost dar, handelt es sich doch letztlich um eine Sammlung von Vorlesungen aus jahrzehntelanger Forschungsarbeit auf dem Gebiet der bairischen Mundart. Dennoch lohnt es sich, nicht gleich aufzugeben, wenn es ans Eingemachte geht. Auf knapp 250 Seiten nimmt der Autor mit auf eine spannende Reise in die Zeit, bevor das Land, um das es in der Hauptsache geht, Bayern hieß. Man erfährt beispielsweise, wie die Entstehung des Bayernstammes und die Entwicklung des Bairischen vonstattenging und wann und wo erste schriftliche Indizien für die Volkssprache auftauchen. Die einzelnen Kapitel, die jeweils mit einem Resümee enden, liefern umfassende Erläuterungen zur Sprachgeschichte mit unzähligen Beispielen zur Schreibweise und Aussprache des Bairischen - und vieles weitere mehr aus der Geschichte der Bayern und ihrer (altbairischen) Sprache.

Da ich, wie schon erwähnt, keinen sprachwissenschaftlichen Hintergrund habe und auch mit der Geschichte der Bayern nicht aufs Engste vertraut bin, kann ich nur bei jenen Passagen des Buches mitreden, in denen es um die Scham derer geht, die mit ihrem heimischen Dialekt aufgewachsen sind und noch bis vor wenigen Jahrzehnten ihres Dialekts wegen als „Minderbemittelte“ belächelt wurden. Hier leistet das Buch von Anthony Rowley sehr gute Arbeit, da es Mundartsprechern durch sachliche Argumente die Scham als unbegründet nimmt. Das Buch ermutigt seine Leser, den eigenen Dialekt anzuwenden, wann immer davon auszugehen ist, dass er bei genauem und geduldigem Zuhören verstanden werden kann.

Besonders gefreut hat mich, auf S. 238 des Buches auf die bayerische Schriftstellerin Lena Christ (1881-1920) zu stoßen, deren Bücher ich sämtlich zum Bairisch lernen angeschafft und zum Teil auch bereits gelesen habe. Anthony Rowley zitiert als Beispiel für den erwähnten Minderwertigkeitskomplex der Mundartsprecher eine Passage aus Erinnerungen einer Überflüssigen, als der Großvater, ein Mann vom Land, seiner Enkelin, die künftig bei der Mutter in München leben soll, einschärft: „Jatz derf ma nimma Kuchei sagn, jatz hoaßts Küch, und statt der Stubn sagt ma Zimmer und statt’n Flöz sagt ma Hausgang. Und Kihrwisch sagt ma aa nimma, sondern Kehrbesen.“  


Leuten ihren Dialekt austreiben zu wollen, ist eine Schnapsidee!

Dass Dialektsprechen, wie einst behauptet, hinderlich sei für den sozialen Aufstieg, wird derzeit allen Ernstes von einer „Dialektaustreiberin“ erneut behauptet, jedoch wird diese Behauptung von Rowley und einer Reihe anderer Experten sachlich widerlegt: (…) Heute gilt in der Fachwelt die sog. „innere Mehrsprachigkeit“ (Hochholzer, 2009) – also das Beherrschen von Schriftsprache und Dialekt – nach allen wissenschaftlichen Studien als Faktor, der die Ausdrucks- und Sprachfähigkeit begünstigt (…).

Mein Fazit: Sicher wird, wie in den vergangenen Jahrzehnten, auch in den kommenden Jahren ein natürlicher Sprachwandel stattfinden – doch sind deshalb die Dialekte wirklich vom Aussterben bedroht? Diese Sorge wird in den sozialen Medien widerlegt, wo Dialekt-Posts und Kommentare und Nachrichten geradezu boomen. Besonders die Jugend ist stolz auf ihren Dialekt, wenn auch Viele das Bairisch 1.0 ihrer Groß- und Urgroßeltern nicht mehr kennen. In Vergessenheit gerät das Alte (Originale) deshalb sicher nicht, denn mit dem technologischen Fortschritt ist die großartige Möglichkeit verbunden, Mundarten besser denn je verschriftlichen, erforschen und für die Nachwelt konservieren zu können. Dabei dürfte Anthony Rowleys sprachwissenschaftliches Nachschlagewerk ein ähnlicher Longseller werden wie Schmellers bayerisches Wörterbuch. Es sollte in keinem Buchregal fehlen.---#

Zurück

 

KONTAKT

Cimbern-Kuratorium Bayern e. V.
1. Vorsitzender Jakob Oßner
Putzenberg 1
84149 Velden
Tel.: +39 8742 8079
E-Mail: ossner1951@gmail.com

 

© by Cimbern Kuratorium Bayern e. V., 2012-2024 | Impressum | Datenschutzerklärung  Letztes Update: 19.04.2024 16:34